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Die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus

Hinweis: Die Kontonummer zur Unterstützung der Videoserie kann hier angefordert werden.

Das Anliegen der Videos auf dieser Webseite

In den Jahren 1917 bis 1922 wurde von Rudolf Steiner der Keim einer vollkommen neuen Idee des sozialen Zusammenlebens in die Seelen der Menschen gepflanzt, die sich dieser Idee zuwenden konnten. Es war eine Idee, die dem mitteleuropäischen Geistesleben entsprang, welches in seiner Ausrichtung allgemein-menschlich und damit Menschen allen Ethnien weltweit zugänglich ist und deren Lebenssituation gemäß ausgeprägt werden kann. Diese Idee kann allerdings erst dann wirksam werden, wenn eine gewisse Anzahl von Menschen in der Lage ist, die Fähigkeit zu entwickeln, neben dem auf verstandesmäßige Ordnung der Sinnesbeobachtungen beruhenden Denken, weitere Formen des Denkens auszubilden. Diese Fähigkeit hatten am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erst wenige Menschen entwickelt. Zu wenig, wie die Geschichte der Dreigliederungsidee zeigt. Die Videos beleuchten nicht nur die Idee der Dreigliederung, sondern versuchen zugleich auch den Denkweg nachzuvollziehen, den Rudolf Steiner erkenntnistheoretisch begründete und für das Auffinden von sozialen Erneuerungskräften als notwendig ansah.

Eine Persönlichkeit, die diese Form des Denkens in hohem Maße schon entwickelt hatte, war der Schotte Daniel Nicol Dunlop. Er vermochte die Idee nicht nur zu denken, sondern ihm gelang es, sein Handeln so zu gestalten, dass es bis in die Ausbildung von überbetrieblichen wirtschaftlichen Gemeinschaftseinrichtungen hinein wirksam wurde. Er arbeitete aus diesen Kräften, schon bevor Rudolf Steiner die Idee der Dreigliederung in eine Gedankenform brachte. So begründete er schon 1911 den Verband der British Electrical and Allied Manufacturers Association. 1924 gelang es ihm, die World Power Conference ins Leben zu rufen, die in modifizierter Form als World Energy Council noch heute existiert. Dunlop verfügte in hohem Maße über dieses Denken ohne es erkenntnistheoretisch zu begründen. Er vermochte daher aus dem Geist der Dreigliederungsidee zu handeln. Er repräsentiert ein veredeltes westliches Geistesleben, das in einen fruchtbaren Dialog mit dem mitteleuropäischen Geistesleben treten konnte.

Die Aufgabe des mitteleuropäischen Geisteslebens ist die Verlebendigung des Denkens, das zu einer Spiritualisierung desselben führt. Eine Idee, wie die der Dreigliederung des sozialen Organismus ins Leben tragen zu wollen, ohne sich um eine solche Spiritualisierung zu bemühen, muss notwendig scheitern. Das zeigt die Entwicklung von 1917 bis 1922, in der viele Menschen zwar äußerst bemüht waren, dieser gerecht zu werden, aber dennoch an der Größe der Aufgabe scheiterten. Dennoch, dadurch dass die Idee damals mit starker Kraft in die Welt getragen wurde, sind heute die Anknüpfungspunkte vorhanden, um an ihr weiter zu arbeiten.

Das Ziel des hier gewählten Ansatzes ist zu zeigen, wie eine Spiritualisierung des Denkens bewirkt, dass neue Gestaltungskräfte ins soziale Leben getragen werden können. Das wiederum wird dazu führen, dass der soziale Organismus sich in drei unabhängige Glieder differenzieren wird. Es kann jedoch das, was lebensmöglich ist, vorausgedacht werden. Das ist zugleich ein Übungsweg zur Verlebendigung des Denkens am Objekt des sozialen Organismus.

Zugleich soll versucht werden, das Instrument des Videos einzusetzen, um diese Gedanken zu vermitteln. Ob dieses gelingt, muss sich zeigen. Doch Videos haben mittlerweile eine so starke Verbreitung, dass sie vielleicht dem einen oder anderen doch einen Zugang zu diesen Ideen ermöglichen können.

Wichtig wäre eine kontinuierliche Arbeit an den Gedankenbildungen im Austausch mit anderen. Denn nur durch eine solche kann eine Verlebendigung erreicht werden. Diese ist heute sehr schwer an einem Ort zu leisten. Wenn auch die Zusammenarbeit in der unmittelbaren Begegnung die geeignetste Form ist, soll hier doch ergänzend eine kontinuierliche Arbeit in Webinarform angeboten werden. Auch das ist ein Experiment, dem ich mit Spannung entgegensehe.

Eine Kurze Entwicklungsgeschichte der Dreigliederung

Die Idee der wurde von Rudolf Steiner in der Zeit von 1917 bis 1922 entwickelt. Die erste Phase kann als politische charakterisiert werden, in der Rudolf Steiner sich während des immer aussichtsloser tobenden 1. Weltkrieges an die führenden Kräfte des Deutschen und des Habsburger Reiches wendet. Steiner geht es zunächst darum, dass von den mitteleuropäischen Staaten eine Friedensmission mit einem geistigen Erneuerungsimpuls verknüpft wird. Nur dadurch würde eine moralische Basis geschaffen, die stark genug sei, um bei Friedensverhandlungen eine eigenständige Position wahren zu können. Die Möglichkeit ergab sich daraus, dass Ende Mai 1917 Otto Graf Lerchenfeld an Rudolf Steiner mit der Frage herantrat, was Deutschland, dessen Regierung er als immer kopfloser und desorientierter erlebte, tun könne, um aus der fürchterlichen Misere des Krieges herauszukommen. Auf diese Frage hin entwickelte ihm Rudolf Steiner in einem dreistündigen Gespräch die Idee der sozialen Dreigliederung. Steiner hatte an diesen Fragen über dreißig Jahre gearbeitet aber erst jetzt gab ihm die Frage des Grafen Gelegenheit, diese Idee auszuformulieren. Otto Graf Lerchenfeld war so beindruckt von den Gedanken, dass er Rudolf Steiner bat, die Grundzüge der Idee in einem Memorandum zusammenzufassen, mit dem er an einflussreiche Persönlichkeiten in Berlin herantreten und Gespräche vermitteln könne. Daraufhin verfasste Rudolf Steiner zwei Memoranden: Das erste war auf die Situation des Deutschen Kaiserreichs zugeschnitten, das zweite auf Situation des Habsburger Reiches. Ein Gespräch mit Lerchenfelds Schulfreund Richard von Kühlmann, der eine heute dem Außenminister entsprechende Position im Deutschen Reich bekleidete, wurde arrangiert. Graf Ludwig Polzer Hoditz überbrachte das 2. Memorandum seinem Bruder Arthur Polzer Hoditz, dem Kabinettchef des jungen Kaiser Karl I von Österreich. Anfang 1918 wurde ein Gespräch mit Prinz Max von Baden ermöglicht, der am 3. Oktober der letzte Kanzler des Kaiserreichs wurde. Max von Baden muss sehr beindruckt von dem Gespräch gewesen sein, denn er suchte Rudolf Steiner kurz vor seinem Amtsantritt noch einmal zu einer Beratung auf.

Steiner versuchte den politischen Führern deutlich zu machen, dass von dem 14-Punkte Programm Woodrow Wilsons eine riesige Gefahr für die Staaten Mitteleuropas ausging und dass, wenn man darauf einging, dieses zur Aufgabe deren Eigenständigkeit führen würde. Obwohl alle diese Persönlichkeiten den Ideen Steiners ein gewisses Interesse entgegenbrachten, reichte ihre Kraft nicht aus, sich aktiv für sie einzusetzen. Der äußere Druck in ihrem politischen Umfeld war einfach zu groß, als dass ihnen ein beherztes Eintreten für diese Gedanken möglich gewesen wäre.

In einer zweiten Phase unmittelbar nach Kriegsende wendete sich Rudolf Steiner an das Bürgertum. Zunächst hielt er in der Schweiz erste öffentliche Vorträge zur sozialen Frage. Diese exoterischen Vorträge wurden begleitet durch Vorträge vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft, in denen die spirituelle Seite der Dreigliederungsidee aufgezeigt wird. Ohne eine Spiritualisierung des Denkens lässt sich die Idee der Dreigliederung nicht verwirklichen. Rudolf Steiner hoffte hier, dass sich unter den Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft genügend Menschen finden werden, die bereit sind, diesen Weg zu gehen. Beim breiteren bürgerlichen Publikum hoffte er auf ein instinktives Verständnis für diese Idee, wenn sie in geeigneter Weise vorgetragen wird. Beides trat nicht in der gewünschten Weise ein. Schriftlich wendet sich Rudolf Steiner mit einem „Aufruf an das deutsche Volk und die Kulturwelt“ und mit dem Buch „Die Kernpunkte der sozialen Frage“, sowie in vielen Zeitschriftenartikel an die Öffentlichkeit.

In einer dritten Phase, die sich durchaus mit der zweiten Phase überlappt, wendete sich Rudolf Steiner an die Arbeiterschaft. Ende April 1919 fuhr er nach Stuttgart und hielt dort Vorträge vor den Arbeitern der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, der Belegschaft der Daimlerwerke, der Boschwerke, später dann auch vor den Arbeiterausschüssen und Betriebsräten der Stuttgarter Großbetriebe. Die Arbeiter bringen seinen Gedanken ein intensives Interesse entgegen. Ziel ist es, auf eine überbetriebliche Koordination in Selbstverwaltungsorganen des Wirtschaftslebens hinzuwirken. Sowohl die sozialistischen Arbeiterführer als auch die Vertreter des Großkapitals standen seiner Initiative ablehnend gegenüber. Für erstere ist er ein Kapitalist für letztere ein Sozialist.

Neben den Bemühungen auf wirtschaftlichem Felde kommt es im September 1919 auf geistigem Felde zur Begründung der Freien Waldorfschule Stuttgart. Die Bemühung um eine überbetriebliche Koordination müssen gegen Ende 1919 immer mehr zurückgenommen werden. Es kommt zur Gründung von wirtschaftlichen Musterinstitutionen, wie „Der Kommende Tag AG“ in Deutschland oder die „Futurum AG“ in der Schweiz.

In den Jahre 1920 bis 1922 werden die äußeren Bemühungen für die Dreigliederung stückweise zurückgenommen. Die Probleme, die diese äußeren Initiativen hervorrufen, werden zu massiv. Der Versuch in Oberschlesien, welches 1921 durch eine Volksabstimmung entweder zu Polen oder zu Deutschland fallen soll, nicht durch Verwirklichung des nationalen Prinzips auseinanderzureißen und stattdessen im Sinne der Dreigliederung zu gestalten, ruft den Zorn der deutschnationalen Kräfte hervor. Für diese sind die Dreigliederer „Vaterlandsveräter“. Auch eine Initiative mit 50 Rednern in über 200 Vorträgen für die Idee der Dreigliederung zu werben, führt lediglich zu verstärkten Anfeindungen. Sehr drastisch äußert sich Rudolf Steiner dazu 1923:

„Da war dieser von mir gehaltene Rednerkurs, bevor eine Horde auf das deutsche Publikum losgelassen worden ist. Schauen Sie sich das Echo dessen an, was durch diesen Hordenzug angerichtet worden ist! Was alles da draußen verzapft worden ist, das ist manchmal etwas gewesen, was an Groteskheit alles übertrifft.“ (GA259, S. 296)

Die Dreigliederungsbewegung versandet 1922 immer mehr; sie scheitert vor allem an inneren Problemen. Eine Ausnahme bietet der Ost-West Kongress, der auch in der Presse eine gute Aufnahme findet. Doch zeigt sich, dass zunächst an einer inneren Konsolidierung der Anthroposophischen Gesellschaft gearbeitet werden muss. Vom 24. Juli bis 6. August hält Rudolf Steiner in einem kleinen Kreis von Volkswirten und Studenten den sogenannten Nationalökonomischen Kurs (GA340) mit einer Fragenbeantwortung (Nationalökonomisches Seminar, GA341). Dieser Kurs kann als eine Art Vermächtnis Rudolf Steiners zu seiner Idee der Dreigliederung angesehen werden. Er entwickelt diese Idee aus der ökonomischen Perspektive. Die Verwandlung des Wirtschaftslebens hängt in engster Weise mit der Verwandlung der Kopfkräfte zusammen. In dem Maße, wie dieses gelingt, werden sich vom politischen Staat unabhängige Gemeinschaftsorgane des Geisteslebens und des Wirtschaftslebens herausbilden können.

Symptomatisch ist, dass Rudolf Steiner kurz nach dem Nationalökonomischen Kurs in Oxford die letzten Vorträge zur sozialen Frage hält. Die geistige Bewegung zur Erneuerung der sozialen Frage, die von Mitteleuropa ausging, endet zunächst im Westen, der durch die Artung seines Denkens in allerstärkster Weise auf das Wirtschaftsleben hin ausgerichtet ist. Die Keime wurden gesät. Die Frage ist, ob sie nach hundert Jahren zum Erblühen gebracht werden können.